Tages-Anzeiger

Flower-Power beim Lochergut
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Mit seinem Café Derby hatte Egon Langmeier genau das: ein ewiges Derby. Immer wieder waren die Wände mit Tags verschmiert. Dann hatte der Wirt eine Idee.


Irgendwann wurden die Tags für Egon Langmeier zur Belastung. Sie waren geschäftsschädigend für sein Lokal, das Café Derby beim Lochergut, wo er Nachbarn, Arbeiter und Stadtoriginale empfängt. Es ist eine Zeitinsel ohne Anbindung ans hippe Festland, aber weltweit bekannt für seine legendäre Post- und Ansichtskartenbörse. Auch wenn das Internet auch hier einiges verändert hat. Viele Cartophilisten kaufen und verkaufen nun virtuell.Immer weniger Gäste wollten jedenfalls auf den Aussenplätzen vor den verschmierten Hauswänden sitzen.

Zusätzlich haben in der Umgebung jüngst immer wieder neue Gaststätten eröffnet. Denn die Verkehrsberuhigung der Sihlfeldstrasse und des Bullingerplatzes macht die Gegend attraktiv. Wo sich früher Autokolonnen durchquälten, wird heute flaniert und Händchen haltend Velo gefahren. Ein idealer Ort für ein Café wie das Derby also. Preiswertes Essen, herzliche Bedienung und die Einrichtung ist nicht auf charmant alt gemacht, sondern tatsächlich noch von damals.

Vielleicht hört das mit den Schmierereien mit der Verkehrsberuhigung ja auf, dachte sich Langmeier. Tat es natürlich nicht. Die Sihlfeldstrasse liegt noch immer auf dem Weg zum Letzigrund und somit in der Vorglühzone der Revierkämpfe sogenannter Fussballfans und deren Markierungen. Die Lage zwischen den Kreisen drei und vier reizte die Tagger zusätzlich.





Was tun?
Egon Langmeier musste handeln. Er hatte genug davon, den Sisyphus zu spielen, die Wand immer wieder neu reinigen, sandstrahlen oder übermalen zu lassen. Abgesehen vom Aufwand war auch die finanzielle Belastung der Reinigungsarbeiten auf die Dauer nicht tragbar. Zynisch bemerkt Langmeier, dass ab und zu einer wenigstens versuchte, so etwas wie ein schönes Graffito anzubringen. Aber die Sprayer, die sich an der Wand seines Cafés versuchten, waren so hartnäckig wie untalentiert. So tanzte Langmeier zu einer Musik, die ihm nicht gefiel, mit wechselnden Partnern, die ihm dauernd auf die Füsse standen. Es war ein Derby mit dem Derby. Was also tun? Langmeier erkannte, dass er mit der Putzerei immer wieder eine Fläche für die nächste Sauerei bot. Also musste er sie den Taggern nehmen. Selber sprayen respektive sprayen lassen. Denn das beste Mittel gegen Graffiti sind Graffiti.


Sein Neffe Marcel schaltete den Kontakt zur Sprayer-Crew «The Other Side». Dann wurde gearbeitet, oft zwölf Stunden am Tag. Resultat: Heute wird das Derby von einem farbenfrohen, kunstvollen Graffito mit Blumenmotiven umarmt. Das Blumenmotiv (mit Schweizer Blumen!) wählte Langmeier aufgrund der Reaktionen seiner Gäste über die Neugestaltung der Sihlfeldstrasse. «So schön» sei es jetzt hier zwar, schwärmten diese, «aber viel zu wenig grün». Dank dem Graffito ist die Ecke nun ein wenig grüner. Das Café sieht besser aus denn je, und Langmeier hat dank den Sprayern seine Ruhe. Eine Eigeninitiative, die im Quartier geschätzt wird. Die Reaktionen der Anwohner und Passanten seien ohne Ausnahme überwältigend positiv. Kinderaugen leuchten, Rentner strahlen, und aus allen Richtungen fliegen die Daumen nach oben. Wie soll man sagen? ­Gelebte Urbanität statt geplante!

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